PERSÖNLICH

Ausgezeichnet: Nachhaltig handeln, menschlich führen

Martin Meyer, CFO der AMAG-Gruppe und frisch gekürter «CFO of the Year», spricht über Verantwortung in Zeiten des Wandels, die Bedeutung von Weiterbildung und warum Nachhaltigkeit für ihn Verpflichtung und Haltung zugleich ist. Mit 200 Mitarbeitenden im Finanzbereich sieht er Weiterbildung als entscheidenden Erfolgsfaktor – für sich selbst und sein Team.

Interview: Dieter Pfaff und Bettina Kriegel  |  Fotos: Patric Spahni

Herr Meyer, Sie wurden am CFO Forum Schweiz als «CFO of the Year» in der Kategorie nicht-börsenkotierte Unternehmen ausgezeichnet. Welche Bedeutung hat diese Ehrung für Sie persönlich und was sagt sie über die Entwicklung der AMAG-Gruppe aus?

Es fühlt sich etwas seltsam an – schliesslich wird man mit solchen Auszeichnungen oft für sein Lebenswerk geehrt, und dafür fühle ich mich noch etwas zu jung (lacht). Für mich bedeutet diese Ehrung vor allem, dass unsere Arbeit gesehen und geschätzt wird. Die Auszeichnung gilt nicht mir allein, sondern dem gesamten Team und der ganzen AMAG-Gruppe.

Sie sind seit knapp vier Jahren CFO der AMAG-Gruppe und kommen ursprünglich nicht aus der Autobranche. Was hat Sie gereizt, die Finanzverantwortung in einem der grössten Schweizer Familienunternehmen zu übernehmen?

Vor rund zehn Jahren bin ich zur AMAG Leasing AG gestossen, die damals einen CFO suchte. Durch die enge Verbindung der AMAG Leasing zum Bankwesen – meiner ursprünglichen Branche – ergab sich für mich die Chance, in die Automobilbranche zu wechseln. Dort war ich fünf Jahre tätig, zuletzt als Managing Director (MD). Als sich später die Möglichkeit bot, die Funktion des CFO der gesamten Gruppe zu übernehmen, habe ich mir diesen Schritt gut überlegt. Mir gefiel die Tätigkeit und Verantwortung als MD sehr. Die Rolle des Group CFO unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht grundlegend von jener eines MDs – das war auch ein Grund, warum ich erst im zweiten Anlauf zugesagt habe.

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In einem Videoporträt sagten Sie augenzwinkernd, beim Auto sei Ihnen vor allem die Sitz- und Lenkradheizung wichtig. Wie gelingt es Ihnen, trotz fehlender «Autoleidenschaft» einen so starken Einfluss in einer automobilgeprägten Organisation auszuüben?

Das muss ich korrigieren: Autos gefallen mir, aber ich bin kein Autoenthusiast. Mich faszinieren das Produkt und seine Herstellung. Kürzlich war ich in einem Audi-Werk und war beeindruckt, wie viel Handarbeit – etwa bei der Polsterung – trotz Robotern in einem Fahrzeug steckt. Als jemand, der aus der Finanzbranche kommt, finde ich es besonders schön, mit einem Produkt zu arbeiten, das man anfassen, mit dem man sich identifizieren und das Emotionen wecken kann. Ich selbst bin aber kein Autonarr. Für mich muss ein Auto in erster Linie verlässlich fahren. Das zeigt auch meine erste Begegnung mit der AMAG – damals bin ich mit einem kleinen Fiat Cinquecento zum Vorstellungsgespräch gefahren (schmunzelt).

Welche Werte und Führungsprinzipien leiten Sie in Ihrer Arbeit als CFO? Gibt es Erfahrungen aus Ihrer Zeit als Handballtrainer, die Sie heute in Ihre Führungsarbeit einbringen?

Handball ist Teamsport. Ich habe selbst Handball gespielt und war Junioren-Trainer. Meine Aufgabe als CFO ist in vielerlei Hinsicht vergleichbar mit der eines Trainers: Ich coache das Team und suche die besten Teammitglieder, die zueinander passen und in ihren Fachgebieten besser sind als ich – das ist für mich zentral. Viele scheuen sich davor, besser qualifizierte Mitarbeitende einzustellen. Ich sehe das anders: Wenn man Expertinnen und Experten um sich hat, die in ihren Fachbereichen top sind, entstehen wertvolle Sparringpartnerschaften, in denen man gezielt und auf Augenhöhe diskutieren kann. Entscheidend ist dabei Vertrauen – in die Menschen und in die Organisation.

Welche Fähigkeiten sind heute für einen modernen CFO entscheidend – und wie unterscheiden sie sich von jenen, die vor zehn Jahren gefragt waren?

Die Fähigkeiten haben sich massiv verändert. Ich bin eher zufällig in die Finanzrolle hineingeraten: Mit 27 Jahren habe ich den Fachausweis im Finanz- und Rechnungswesen absolviert und anschliessend die Expertenausbildung abgeschlossen. Früher war Buchhaltung oft rückwärtsgerichtet – man erstellte Abschlüsse, analysierte Vergangenheitszahlen und prüfte gelegentlich Business-Cases. Heute ist der CFO vielmehr strategischer Sparringpartner und kommunikativer Taktgeber im Unternehmen. Viele Aufgaben sind automatisiert, der Fokus liegt klar auf der Zukunft: Wir agieren, statt nur zu reagieren. Diese Entwicklung entspricht mir sehr – sie macht die Rolle spannender, vielseitiger und zukunftsorientierter.

Wie gelingt es Ihnen, Rechnungslegung und Controlling so zu gestalten, dass sie nicht nur der Rückschau, sondern vor allem der Zukunftssteuerung dienen?

Ich bin für alle CFOs verantwortlich, das heisst, sie berichten an mich und nicht den Leitern der Business Units. Durch den regelmässigen Austausch in verschiedenen Gremien habe ich einen guten Überblick, erhalte frühzeitig wichtige Vertriebsinformationen und kann rasch reagieren. Um aktiv zu steuern, muss ein CFO wissen, was im Markt passiert. Das ermöglicht es mir, mit der Finanzabteilung proaktiv einzugreifen und die Vertriebsorganisation zu unterstützen. Entscheidend dabei ist nicht allein der Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) im Controlling, sondern vor allem zukunftsgerichtetes Denken: Welche Initiativen machen Sinn, welche Trends gilt es zu beachten?

Wenn Sie ins CEO-Meeting reingehen, welcher Report ist für Sie matchentscheidend? Worauf basieren Ihre Aussagen? Oder geht man einfach so locker ohne Zahlen hinein?

Wir arbeiten mit hochaggregierten Gruppenzahlen: aus den Business-Units, Retail und Import. Für mich ist wichtig, dass jeder MD sein Geschäft in zehn Minuten vorstellt. Danach können die Zahlen und Erkenntnisse verknüpft und Massnahmen abgeleitet werden. Besonders wertvoll sind für mich die Vertriebszahlen und Marktanteile. Die reine Kostenseite ist eine Pflichtaufgabe; die muss ein Unternehmen im Griff haben.

Wie wichtig ist es aus Ihrer Perspektive als CFO, etwas von Accounting zu verstehen? Welche Rolle spielt buchhalterisches Fachwissen Ihrer Ansicht nach tatsächlich?

Meiner Ansicht nach ist dieses Wissen elementar. Mein Weg vom Fachausweis bis zum Diplom hat mir viele praktische Erfahrungen vermittelt, und ich kenne sämtliche Schritte und Prozesse. Man sitzt nicht im Elfenbeinturm und entscheidet über Dinge, die man nicht versteht. Die Materie ist komplex, und bei AMAG arbeiten wir mit Swiss GAAP FER. Interne Konzernleistungen, die Behandlung des Leasinggeschäfts über die Laufzeit (z. B. wenn ein Auto innerhalb der AMAG verbleibt) oder die Abwicklung von Garantien und Dienstleistungspaketen erfordern fundierte Accounting-Kenntnisse.

AMAG ist aktuell der grösste Schuldner auf dem Schweizer Anleihenmarkt. Welche Überlegungen stecken hinter dieser Finanzierungsstrategie – und wie behalten Sie die Risiken im Griff?

Grundsätzlich ist für uns zentral, die gesamte Wertschöpfungskette abzudecken: Wir importieren, verkaufen und finanzieren Fahrzeuge. Dass wir zu den grössten Schuldnern am Schweizer Anleihenmarkt gehören, steht in direkten Zusammenhang mit unserem Leasing-Geschäft. Mit einer Bilanzsumme von über fünf Milliarden Franken sind wir grösser als kleinere Kantonalbanken.

Der Wandel zur Elektromobilität stellt die gesamte Branche auf die Probe. Welche finanziellen und strukturellen Anpassungen sind nötig, um diesen Transformationsprozess erfolgreich zu bewältigen?

Das ist relativ einfach: Da die Margen künftig tendenziell sinken werden, müssen wir Kosten aus dem System nehmen und die Kostenstruktur gezielt weiter optimieren. Der Margendruck entsteht, weil Hersteller und insbesondere der Zwischenhandel Margen für ihr Wachstum benötigen. Folglich gilt es, Funktionen zu bündeln, Transparenz entlang der Wertschöpfungskette zu schaffen, um effizient steuern zu können. Kurz gesagt: Wir müssen Kosten weiter senken und gleichzeitig die Wertschöpfungskette so organisieren, dass wir Fahrzeuge und alle damit verbundenen Leistungen effizienter verkaufen können.

Mit dem Kauf von Helion ist AMAG zu einem der grössten Solartechnik-Anbieter der Schweiz geworden. Wie stark verändert dieser Schritt das Geschäftsmodell?

Der Schritt rundet das Geschäftsmodell sinnvoll ab. Ein logischer Kauf passend zur Strategie der AMAG-Gruppe. Mit der Übernahme von Helion erweitert die AMAG-Gruppe ihr Dienstleistungsangebot rund um die Elektromobilität erheblich und bietet den Kundinnen und Kunden Mobilität, erneuerbare Energieproduktion und intelligentes Lademanagement und Ladelösungen aus einer Hand. Wenn wir an das Laden von Elektroautos denken, wird Photovoltaik auf unseren Dächern künftig eine Rolle spielen. So können wir beispielsweise Autobatterien direkt vor Ort laden oder Speicherlösungen integrieren. Damit ergänzen wir unser Angebot um eine sinnvolle, zukunftsorientierte Lösung.

Der Privatverkehr verursacht rund ein Viertel des CO2-Ausstosses in der Schweiz. Mit einem Marktanteil von einem Drittel trägt AMAG enorme Verantwortung. Wie nehmen Sie diese aus Sicht des CFO konkret wahr?

Das ist eine grosse Verantwortung, die wir bewusst wahrnehmen und entsprechend handeln. Im Branchenvergleich leisten wir in puncto Nachhaltigkeit deutlich mehr als andere. Wir veröffentlichen einen Nachhaltigkeitsbericht, in dem wir transparent aufzeigen, wie wir in ökologischer, sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht vorankommen. Für uns ist das nicht nur eine Verpflichtung, sondern auch eine unternehmerische Verantwortung. Wir haben seit 2019 unseren CO2-Ausstoss unternehmensweit um 30 Prozent gesenkt. Ein wichtiger Meilenstein für die Ambition Netto-Null 2040 – und wir haben in den letzten Jahren weitere wichtige Erfolge erzielt, die unsere wegweisende Rolle im Transformationsprozess der Schweizer Mobilitätsbranche bestätigen. Auf den AMAG Immobilien sind aktuell Photovoltaikanlagen mit einer Fläche von über 56000 Quadratmetern installiert. Für uns ist entscheidend, dass wir nicht nur über Nachhaltigkeit sprechen, sondern konkrete Massnahmen umsetzen, die wirken.

Die C02-Vorschriften werden jedes Jahr strenger – der Staat fordert tiefere Emissionen, fördert aber beispielsweise den Ausbau der Ladeinfrastruktur viel zu wenig. Wir investieren selbst in den Auf- und Ausbau von Ladeinfrastruktur – mit Ladestationen an unseren eigenen Standorten, bei Handelspartnern und im öffentlichen Raum und mit attraktiven Tarifen von rund 28 Rappen pro Kilowattstunde. Über unsere Tochtergesellschaft Helion treiben wir den Ausbau von Photovoltaik-, Speicher- und Ladelösungen voran. Zudem beteiligen wir uns an Partnerschaften mit Energieversorgern, um bidirektionales Laden und netzdienliche Lösungen zu skalieren. Zudem testen wir preiswerte Optionen, um unseren Kunden den Umstieg auf Elektromobilität zu erleichtern. Mit Clyde bieten wir die längste Probefahrt der Schweiz an, Interessierte können ein E-Auto drei Monate testen und 50 Prozent der Abokosten beim anschliessenden Kauf oder Leasing sparen. Und auch die Reichweite ist heute kein Thema mehr: Moderne Elektrofahrzeuge schaffen 600 bis 700 Kilometer. Und auch die Batterieherstellung wird stetig effizienter und ressourcenschonender.

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Digitalisierung und Automatisierung verändern auch das Finanzwesen. Wo sehen Sie bei AMAG die grössten Fortschritte – und welche Prozesse bergen noch Potenzial?

Die grössten Fortschritte erzielen wir dort, wo wir KI gezielt einsetzen und sinnvoll ergänzen können. Mit unserem Treibermodell und dem Einsatz von KI können wir Prozesse deutlich beschleunigen und die Effizienz steigern. Entscheidend ist jedoch, dass die Mitarbeitenden diese Entwicklungen verstehen und mittragen – nur dann entfaltet die Technologie ihren vollen Nutzen. Deshalb ist Weiterbildung für mich zentral. In unserem Finanzteam mit rund 200 Mitarbeitenden gilt die klare Devise: Jede und jeder soll sich kontinuierlich weiterbilden. Das ist in unserem Berufsbild entscheidend, um mit der technologischen Entwicklung Schritt zu halten und die Transformation aktiv mitzugestalten.

Sie sind eidgenössich diplomierter Experte in Rechnungslegung und Controlling und Mitglied bei SwissAccounting. Was bedeutet Ihnen dieses Netzwerk, und welchen Beitrag kann es zur Professionalisierung des CFO-Berufs leisten?

Verbände – auch in der Automobilbranche – sind wichtig, wenn es darum geht, die Interessen ihrer Mitglieder zu vertreten. Besonders begrüsse ich, dass sich SwissAccounting in jüngster Zeit für die Einführung der Master-Professional-Titel engagiert hat. Dieser Schritt ist gerade im internationalen Kontext von grosser Bedeutung, und ich hoffe, dass er auch auf politischer Ebene etwas bewegt. Das berufliche Netzwerk empfinde ich als bereichernd, auch wenn im Alltag leider oft die Zeit fehlt, es aktiv zu pflegen.

Wenn Sie jungen Finanzfachleuten oder angehenden CFOs einen Rat mitgeben könnten: Was ist für Sie der wichtigste Erfolgsfaktor für eine nachhaltige Karriere im Finanzwesen?

Wer beruflich vorankommen will, sollte sich alle zwei bis drei Jahre neue Perspektiven eröffnen und möglichst vielfältige Erfahrungen sammeln – etwa auch einmal in einer Vertriebsabteilung. Der Umgang mit Veränderungen ist für mich der entscheidende Erfolgsfaktor. Wer flexibel bleibt, Chancen erkennt und kontinuierlich dazulernt, schafft die Basis für eine nachhaltige Karriere.

Vielen Dank für das Gespräch!

«CFO of the Year Award»

Das Institut für Finanzdienstleitungen Zug IFZ der Hochschule Luzern HSLU ist Initiator des Vereins CFO Forum Schweiz. Der Verein hat im Rahmen des Swiss CFO Day am 25. August 2025 bereits zum 16. Mal drei herausragende Finanzchefs mit dem «CFO of the Year Award» geehrt. Mit dieser Auszeichnung werden CFOs von Schweizer Unternehmen in drei unterschiedlichen Kategorien für ihre besonderen Verdienste gewürdigt. Bewertungskriterien sind unter anderem Persönlichkeit, Fachkompetenz, besondere Leistungen und Erfolge als CFO, Reputation und Kontinuität. Einen Award in der Kategorie «nicht-börsenkotiertes Unternehmen» erhielt der 58-jährige Martin Meyer, CFO der AMAG-Gruppe.

Zum Videoporträt:

 

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