OR RECHNUNGSLEGUNG

Konsignationslager und Besonderheiten von Vorräten –

Überlegungen zum Fall RUAG

Die Bilanzierung von Vorräten folgt handelsrechtlich den allgemeinen Richtlinien für die Aktivierung. Aufgrund einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise umfasst die Bilanzposition «Vorräte» eine Vielzahl verschiedener Vermögenswerte. Die jüngst öffentlich diskutierten Probleme der RUAG zeigen auf, dass Bilanzierungsfragen von Konsignationswaren einen Einfluss auf die Transparenzfunktion der Bilanz haben können.1

 

Vorräte stellen im Rahmen der Rechnungslegung eine für viele Unternehmen zentrale Position dar. Einkauf und Bewertung der Vorräte beeinflussen genauso das unternehmerische Ergebnis (und damit die Steuerlast) wie auch Fragen der Umsatzrealisierung und des Zeitpunkts einer Ausbuchung oder eines Abgangs der Vorräte. Ob ein Aktivum innerhalb der Bilanzposition «Vorräte» erfasst werden soll oder nicht, hängt vom wirtschaftlich determinierten Verwendungszweck und nicht primär von der Beschaffenheit ab. Während Handelsunternehmen Waren einkaufen und (teurer) verkaufen (ohne diese zu «veredeln»), können unbebaute und bebaute Grundstücke bei einem Generalunternehmen oder bei einem Immobilienunternehmen als Vorräte klassifiziert werden. Industrieunternehmen wiederum verfügen innerhalb der Vorräte sowohl über Roh- und Betriebsmaterial als auch über unfertige/fertige Erzeugnisse. Aber auch eine Organisation, die im Rahmen der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit den Handel mit Kryptowährungen praktiziert, z.B. als Broker oder Miner, kann die gehandelten Kryptowährungen als Vorräte bilanzieren. Der oftmals ebenfalls innerhalb der Vorräte bilanzierte Posten «nicht fakturierte Dienstleistungen» darf – so die neueste Rechtsprechung des Bundesgerichts – nur noch nicht vollständig erbrachte Leistungen erfassen und darf nicht dazu verwendet werden, (höhere) aktive Rechnungsabgrenzungen (und damit tendenziell höhere Steuerlasten) zu umgehen.2

Aktivierung von Vorräten

Das Schweizer Recht kennt keine speziellen Aktivierungsvoraussetzungen für Vorräte, jedoch solche für Aktiven (Art. 959 Abs. 2 OR): Danach muss über aktivierungsfähige Vermögenswerte verfügt werden können (Grund dafür ist ein vergangenes Ereignis). Solche Vermögenswerte müssen einen wahrscheinlichen zukünftigen Mittelzufluss (Ertragsüberschuss, Cashflow oder Ähnliches) auslösen können. Ebenso vorausgesetzt ist die Bewertbarkeit, also die verlässliche Möglichkeit zur Schätzung des Wertes. Ein allfälliger Eigentumsvorbehalt steht einer Aktivierung nicht grundsätzlich entgegen, löst aber eine Offenlegungspflicht im Anhang aus.3

Vorräte bei der RUAG

Aufgrund von in der Öffentlichkeit kritisch beurteilten Geschäften mit den Kampfpanzern Leopard 1 und 2 ersuchte die Finanzdelegation der eidgenössischen Räte (FinDel) die Eidgenössische Finanzkontrolle (EFK) um eine unabhängige Beurteilung möglicher Betrugsaspekte bei der RUAG MRO Holding AG (RUAG). Die für ihre fundierte, sachliche Analysekompetenz bekannte EFK versteht ihren Auftrag seit jeher so, dass sie auch eine deutliche und klare Würdigung in ihrer öffentlichen Kommunikation vornimmt – unter Berücksichtigung des Umgangs mit «Steuergeldern» erscheint dies sinnvoll. Leider wird dies erst im Nachhinein verstanden, wie die aktuellen Debatten über «Kostenexplosionen» bei der Beschaffung der F35 zeigen – die EFK hatte seit jeher die abgeschlossenen Verträge sehr kritisch beurteilt.

Die EFK kommt in ihrem Bericht zu den möglichen Betrugsaspekten zum Schluss, dass es ausreichende Hinweise auf einen möglichen Betrug gebe, insbesondere durch ein ehemaliges Kadermitglied mit Doppelfunktion in der Schweiz und Deutschland.4 Die Untersuchung der EFK zeigte hinsichtlich der Position «Vorräte», dass die RUAG ohne Genehmigung Ersatzteile aus dem Konsignationslager im Besitz der Armee für ihr eigenes Geschäft mit Dritten verwendet haben könnte. Unter dem Begriff des «Konsignationslagers» ist im Bericht der EFK die durch RUAG an ihren Standorten geführten und bewirtschafteten Warenlager gemeint. Die Waren in diesen Lagern befinden sich im Eigentum des Eidgenössischen Departementes für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS).

Handelsrechtliche Würdigung

Konsignationswaren sind zwar Waren, wie sie in einer Organisation vorkommen können. Sie bleiben aber im Eigentum des Kommittenten (hier: VBS) und zählen daher nicht zu den uneingeschränkt verfügbaren Aktiven des Kommissionärs (hier: RUAG). Aus diesem Grund dürfen sie gemäss Art. 959 Abs. 2 OR nicht in dessen Bilanz aktiviert werden. Dennoch ist eine sachgerechte Erfassung der Bestände sowie deren Veränderungen (Bestandsnachweis gemäss Art. 958c Abs. 2 OR) aus Gründen der Sorgfaltspflicht gegenüber dem Kommittenten erforderlich.5 Daher ist es sinnvoll, diese Informationen im Anhang zur Jahresrechnung aufzuführen. Im Rahmen ihrer Untersuchung stellte die EFK fest, dass kein geeignetes Reporting mit Leistungskennzahlen (Key Performance Indicators, KPI) zur Lagerbewirtschaftung der Konsignationswaren geführt wurde. Besonders relevant wäre in diesem Zusammenhang beispielsweise die Messung der Lagerreichweite gewesen.

Wie im Bericht festgehalten, fehlten jedoch solche grundlegenden Instrumente: Das eingesetzte Excel-Tool erlaubte es beispielsweise nicht, den aktuellen Lagerbestand mit dem Vorjahreswert zu vergleichen. Als besonders kritisch erwies sich zudem die unklare Regelung bezüglich (grundsätzlich unproblematischer) Leihentnahmen, die unzureichend überwacht und kontrolliert wurden.

Praktische Schlussfolgerung für die Unternehmensführung

Die Pflicht zur Vornahme einer für die Bestandesermittlung notwendigen sachgerechten Inventur erstreckt sich nicht nur auf bilanzierte Aktiven. Für eine ordnungsgemässe, betriebswirtschaftlichen Grundsätzen folgende Steuerung und Überwachung einer Organisation ist es unabdingbar, auch nicht aktivierte, aber verwaltete und (teilweise) genutzte Vermögenswerte zu «überwachen». Nebst den Konsignationswaren wäre hier z.B. auch an Fahrzeuge im Leasing (die handelsrechtlich nicht bilanziert werden müssen/Operating Leasing) oder aufgrund von Aktivierungsuntergrenzen nicht bilanzierte Vermögenswerte (wie z.B. IT-Equipment, Kleinmaterial wie Papier etc.) zu denken. Dies gilt auch hinsichtlich der nicht erlaubten privaten Verwendung von geschäftlichen Ressourcen.

Vorteile der ordnungsmässigen Buchführung und Rechnungslegung

Der Fall der RUAG verdeutlicht den praktischen Stellenwert eines aussagekräftigen Accountings. Eine korrekte Buchführung, verbunden mit einer situationsgerechten Rechnungslegung, hätte den von der EFK zu Recht monierten Umgang mit Konsignationswaren verhindern oder doch zumindest stark erschweren können.

1 Der Beitrag basiert auf einer mehrteiligen Blogserie, an denen der Autor mitgewirkt hat, vgl. https://hub.hslu.ch/economiccrime/der-fall-ruag-der-umgang-mit-whistleblower-meldungen/, Abrufdatum 11.7.2025.

2 Vgl. das Urteil des Bundesgerichts vom 13.9.2022, 2C_632/2022.

3 Vgl. EXPERTsuisse (2023): Handbuch der Wirtschaftsprüfung, S. 173 und S. 195.

4 Vgl. EFK (10.1.2025): Prüfung möglicher Betrugsaspekte – RUAG MRO Holding AG, EFK-24192 (Kurzfassung, Version inkl. Stellungnahmen).

5 Vgl. Gutsche, Robert; Meyer, Dieter: Art. 959a OR, N 53, in: Pfaff, Dieter; Glanz, Stephan; Stenz, Thomas; Zihler, Florian (Hrsg.): Rechnungslegung nach Obligationenrecht, 3. Auflage, Zürich 2024.

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