BILDUNG
Die ERFA-Tagung von dualstark propagierte im Herbst 2024 eine möglichst rasche Integration der künstlichen Intelligenz (KI) ins Bildungswesen. Welche Meinung vertritt examen.ch, welche Chancen ergeben sich für die eidgenössischen Prüfungen im Accounting? Eine Einschätzung von Geschäftsführer Marcel Hinder.
Interview: Marion Tarrach
Marcel Hinder, das Feld der Möglichkeiten von KI-Nutzung im Prüfungswesen ist weit. Welche Aspekte stehen für Sie im Vordergrund?
Eine zentrale Frage wird sein, ob die Kandidierenden KI-Tools für die Bearbeitung der Prüfungsfälle nutzen können. Ich empfehle, möglichst wenig auszuschliessen. Die gewünschte Berufsfeldnähe der eidgenössischen Prüfungen sehe ich als Chance. Entsprechend sinnvoll wäre es, alle Instrumente zuzulassen, die im beruflichen Alltag zum Einsatz kommen.
Wo liegen die spezifischen Chancen zur KI-Nutzung in den Accounting-Prüfungen?
Ich habe mich kurz mit ChatGPT unterhalten, um zu erfahren, welche KI-Instrumente im Accounting bereits erfolgreich eingesetzt werden. Es wurde mir postwendend eine Liste von etwa zehn Tools ausgespielt, die mehrheitlich starke Analysefähigkeiten zu haben scheinen. Kann man das öffnen und quasi als obligatorisch erklären? Falls ja, müssten an den Prüfungen weiterhin Fakten analysiert und Lösungsansätze entwickelt, aber nicht mehr allzu hoch gewichtet werden. Stattdessen würden Steuerungsmomente, die man daraus ableiten kann, oder Überlegungen zum Prozess der Problemlösung eine grössere Bedeutung erhalten.
Wie wären solche Kompetenzen abzufragen?
Eine Prompt-Kette verifizieren, beispielsweise. Weshalb ist welche Einschränkung gemacht worden, weshalb wurde eine Vertiefung verlangt, weshalb wurde ein Absatz verworfen? Was ist der Innovationsgrad oder die Kreativität der vorgestellten Lösung? KI führt zu einer Verlagerung, mündliche Elemente gewinnen an Wert. Eigentlich ähnlich, wie wenn ein Lösungsansatz gegenüber Geschäftsleitung oder VR zu verteidigen ist.
Welche Rolle übernimmt examen.ch in der Integration von KI in die Prüfungswelt?
Die Prüfungsträger konzipieren die Prüfungen, wir setzen sie um. Wir können deren Erfahrungen vernetzen, sie beraten, den Austausch fördern und Anstösse geben. Einzelne Prüfungsträger führen bereits at-home-Prüfungen durch. Dort kommt Proctoring-Software zum Einsatz, eine Möglichkeit der Online-Identifizierung und -Prüfungsaufsicht. Es geht darum zu verhindern, dass (noch) nicht zugelassene Hilfsmittel genutzt werden - ganz anderes wird folgen.
An der dualstark-Tagung wurde von möglichen disruptiven Umwälzungen der Prüfungswelt gesprochen. Kommen Sie zu einer ähnlichen Einschätzung?
Bei einem heftigen Richtungswechsel besteht die Gefahr, auch mal in die falsche Richtung zu rennen. Das ist unschweizerisch (lacht). Der Erkenntnis steht bei uns ein Reflex der Vorsicht gegenüber. Unser Bildungswesen präsentiert keine visionären Würfe und hofft, dass sich die Zukunft dann auch so entwickelt. Wir pflegen eine Politik der kleinen, aber häufigen Schritte. Es braucht einige Erfahrung und Lerneffekte, bis grosse Neuerungen greifen und auch ökonomisch nutzbar werden.
Neuer Geschäftsführer examen.ch AG
Am 1. Juli 2024 hat Marcel Hinder seine Tätigkeit als neuer Geschäftsführer von examen.ch AG aufgenommen. Er verfügt über langjährige Erfahrung im Bildungswesen und im Bereich Human Resources. Zuletzt war er als Rektor eines renommierten privaten Bildungsanbieters tätig.