OR RECHNUNGSLEGUNG
Aus Sicht der Bewertungslehre ist die Praktikermethode das «Kellerkind» der Unternehmensbewertung. In der Bewertungspraxis und bei steuerlichen Bewertungen ist sie jedoch sehr beliebt. Nicht verwunderlich ist also, dass sich die Gerichte immer wieder mit Aspekten ihrer Anwendung befassen müssen. Der Beitrag geht auf aktuelle Urteile ein.
Was spricht für und was gegen die Praktikermethode? Das Kreisschreiben Nr. 28 vom 28. August 2008 (KS 28) regelt die Bewertung nicht kotierter Anteile an Kapitalgesellschaften für Zwecke der Vermögenssteuer. Die dort beschriebene Methode gilt als verschriftlichte Fassung der Praktikermethode, auch wenn diese an keiner Stelle des Dokuments so benannt wird.
Die theoretischen Einwände gegen die Praktikermethode sind nicht neu. Bereits 1946 merkte Karl Käfer an, dass «die Methode nur den Vorzug hat, das Denken zu ersparen».1 Aus praktischer Sicht sprechen die Einfachheit und Transparenz der Methode dafür. Auch sind einzelne Aspekte – Substanzbezogenheit des Erfolgs, Kapitalbindung, Übergewinne und deren Gefährdung durch die Konkurrenz – anerkannt, auch wenn deren methodische Verknüpfung in einer Formel zweifelhaft ist. Entsprechend lassen auch die berufsständischen Empfehlungen zur Unternehmensbewertung die Praktikermethode nur dann zu, «wenn angenommen werden kann, dass sie zu vergleichbaren Resultaten führt wie betriebswirtschaftlich fundierte Methoden».2
Dessen ungeachtet ist die Praktikermethode für die Steuerverwaltung das Standardverfahren für steuerliche Bewertungen. Die im Folgenden besprochenen Urteile geben Hinweise auf ihre Anwendung in steuerlichen, aber auch aussersteuerlichen Zusammenhängen.3
Es ist selten, dass Steuerpflichtige auf eine höhere Bewertung ihres Vermögens bestehen. Im vom Bundesgericht am 19. September 2024 (9C_4/2024) entschiedenen Sachverhalt war dies jedoch der Fall: Die A AG beteiligte sich 2013 an der D AG. Diese stellte Holzfässer her und war zu diesem Zeitpunkt auch überschuldet. Die Beteiligung erfolgte durch Umwandlung einer Forderung von rund CHF 2 Mio. Im Folgejahr nahm die A AG eine Wertberichtigung von TCHF 500 vor, welche das Steueramt als nicht geschäftsmässig begründet aufrechnete. Die Folge war ein Streit, der schliesslich vor das Bundesgericht gelangte.
Zentral war die Frage, welchen Verkehrswert die Beteiligung 2013 hatte, und ob die spätere Wertberichtigung begründet war. Beide Parteien wendeten zur Berechnung des Verkehrswertes die Praktikermethode an, kamen jedoch zu unterschiedlichen Ergebnissen: Die A AG hielt den Zugangswert von CHF 2 Mio. für gerechtfertigt, das Steueramt kam auf nur TCHF 800. Ursache der Differenz waren einerseits Währungsverluste, welche die A AG als ausserordentlich einstufte, sowie behauptete, stille Reserven aus einer «Holzfasstechnologie», die den Substanzwert um rund CHF 3.5 Mio. erhöhen sollten.
Das eine wie das andere wurde vom Steueramt und den Vorinstanzen abgelehnt. Deren Erwägungen folgte auch das Bundesgericht und erkannte die Aufrechnung der Wertberichtigung durch das Steueramt an.
Zunächst zur Frage der Ersterfassung: Die Umwandlung einer Forderung in Kapital ist im Grunde eine Sacheinlage und aus Sicht des vormaligen Gläubigers und neuen Aktionärs ein Tausch. Der empfangene Vermögenswert (hier die Beteiligung) kann zum vorsichtig geschätzten Verkehrswert oder zum Buchwert des hingegebenen Vermögenswertes angesetzt werden.4 Die Steuerpflichtige entschied sich für letzteres und erfasste also die Beteiligung mit dem Buchwert der Forderung. Die im späteren Verfahren vorgelegte Bewertung sollte diesen Wertansatz stützen.
Das Steueramt berechnete den Wert der Beteiligung eigenständig mit der Praktikermethode. Zwischen den Parteien war die Methodenwahl nicht strittig, und so auch vom Bundesgericht zu akzeptieren. In deren Umsetzung gab das Bundesgericht der Steuerverwaltung recht: Währungsverluste stellen danach – ebenso wie Währungsgewinne – keine ausserordentlichen Erlöse dar und sind Teil des zu kapitalisierenden nachhaltigen Ergebnisses.
Bei der Berechnung des Substanzwertes bemängelte das Bundesgericht den fehlenden Nachweis der «Holzfasstechnologie», so dass «auf die Berechnung … nicht vertieft eingegangen werden musste» (E.3.5.2). Die Vorinstanz hatte sich mit deren Bewertung noch näher auseinandergesetzt und dabei u.a. auf das KS 28 verwiesen, wonach immaterielle Werte beim Substanzwert höchstens zu den Anschaffungs- oder Herstellungskosten abzüglich Abschreibungen anzusetzen sind (Rz. 26). Damit scheidet der Ansatz der Holzfasstechnologie zum Verkehrswert ohnehin aus.
Was lässt sich aus dem Urteil nun lernen? Zunächst einmal, dass es bei Bewertungen immer auf die Methodenwahl ankommt. Vorliegend haben sich beide Parteien auf die Praktikermethode geeinigt. Im ersten Rechtszug hatte das Bundesgericht noch andere Verfahren (reine Ertragswertmethode und DCF-Verfahren) für anwendbar erklärt (BGer vom 27.11.2020 – 2C_536/2020, E 3.2).
Weiter zeigt sich, dass auch die Praktikermethode nicht immer konfliktfrei angewendet werden kann. Ihr behaupteter Vorteil, dass sie ohne weiteres aus den vergangenen Jahresrechnungen ableitbar sei, trifft im konkreten Fall nicht zu. Auch dass die schematische Berechnung des KS 28 selbst geschaffene immaterielle Werte vernachlässigt, wird deutlich.
Dem Entscheid des Steuerrekursgerichts Zürich vom 28. Mai 2024 (2 ST.2023.139) lag folgender Fall zugrunde: Eine Ein-Mann AG wurde 2016 gegründet und in der Aufbauphase (bis einschliesslich 2017) nur mit dem Substanzwert bewertet. Danach erfolgte die Einschätzung des Steueramtes mit der Praktikermethode. Dabei wurde der Personenbezogenheit mit einer einfachen Gewichtung des Ertragswertes Rechnung getragen. Der Steuerpflichtige bestand jedoch weiterhin auf einer Bewertung zum Substanzwert, was bei einer Wertdifferenz von rund CHF 22 Mio. durchaus verständlich ist.
Begründet wurde der Rekurs unter anderem mit dem Urteil des Bundesgerichts vom 24. November 2022 (5A_361/2022). Dort wurde die Bewertung eines personenbezogenen Einzelunternehmens für güterrechtliche Zwecke als willkürlich verworfen.5 Das Steuerrekursgericht befasste sich ausführlich mit diesem Argument, wies es aber – meines Erachtens richtigerweise – zurück: Während eine Bewertung für güterrechtliche Zwecke dem Einzelfall gerecht werden muss, rechtfertigt die «Praktikabilität» der Praktikermethode, die «den Bedürfnissen einer effizienten Verwaltung gerecht wird» und deren Ergebnis aufgrund des geringen Steuersatzes «ohnehin nicht sehr stark ins Gewicht fällt, … eine schematische Lösung» (E.1.c). Dass der Verkehrswert schon begrifflich den Verkauf des Unternehmens und damit den Wegfall der mit der Person des bisherigen Eigentümers zusammenhängenden Ertragskraft unterstellt, «muss bei dieser schematischen Sichtweise ausser Acht bleiben» (E.3.b.cc).
Mit dem hohen Alter und dem Gesundheitszustand des Alleinaktionärs hat sich das Gericht nicht befasst, da seiner Ansicht nach die künftige Lebenserwartung bei einer vergangenheitsbezogenen Bewertung keine Rolle spielen kann (E.4.b.). Dies klingt zynisch, steht methodisch aber im Einklang mit dem Verkehrswertgedanken: Bei einem gedachten Verkauf spielt das weitere persönliche Schicksal des Verkäufers keine Rolle.
Der vom Steuerrekursgericht Zürich am 27. August 2024 (1 ST.2024.53) entschiedene Fall ist insofern bemerkenswert, als hier eine negative Unternehmensentwicklung zu einer höheren Vermögenssteuer führte.
Im entschiedenen Fall hält eine Holding-Gesellschaft nur eine einzige Beteiligung, welche sie 2016 für rund CHF 6.3 Mio. erworben hatte. Diese wurde zunächst auch mit den Anschaffungskosten in den steuerbaren Wert der Holding einbezogen, da dieser Kaufpreis gemäss KS 28 (Rz. 2 Abs. 5) zunächst als Verkehrswert gilt. Allerdings nur so lange, als sich die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft nicht wesentlich verändert. Als wesentliche Änderung gilt gemäss Kommentar zum KS 28 u.a. «eine Umsatzveränderung von 20 Prozent».
Im vorliegenden Fall sank der Umsatz innerhalb von vier Jahren um rund 30 Prozent und der Gewinn gar um 50 Prozent. Da aber weder das KS 28 noch der Kommentar eine Richtung der «Veränderung» vorgeben, ist nach Ansicht des Gerichts auch bei einer negativen Entwicklung eine Neubewertung erforderlich. Im konkreten Fall führte dies zu einer Aufdeckung von stillen Reserven in Höhe von rund CHF 5.9 Mio.: «Aufgrund der rein schematischen Formelbewertung könne es in solchen Fällen vorkommen, dass trotz Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage ein höherer Wert resultiere, als jener, der vor drei Jahren … bezahlt worden sei» (E.1.b). Auch hier wird – wie beim vorgängig besprochenen Urteil – kein Bedarf für ein unabhängiges Gutachten gesehen, da die Praktikermethode «in der Schweiz flächendeckend und einheitlich eingesetzt wird und über alle nichtkotierten Firmen hinweg im Rahmen der Vermögenssteuer – im Durchschnitt – zu vertretbaren Resultaten führt» (E.3.). Diese Ausführungen sind nicht überraschend, entspricht dies doch der ständigen Rechtsprechung zu Bewertungsfragen bei der Vermögenssteuer.
Das Leben ist zu komplex, als dass es in eine einfache Formel passt. Entsprechend kann die Praktikermethode zu «unfairen» Ergebnissen führen. Dies wird man bei standardisierten Massenverfahren wie der Vermögenssteuer akzeptieren müssen. In allen anderen Fällen empfehlen sich zukunftsorientierte Verfahren wie die DCF-Methode. Natürlich kann man auch über deren Anwendung und Ergebnisse diskutieren, allerdings dann immer mit Blick auf das Wesentliche, nämlich die Zukunft und deren Beurteilung. Denn – um am Ende den Bogen von Karl Käfer zu Eugen Schmalenbach zu schlagen – «für das Gewesene gibt der Kaufmann nichts».6
1 Käfer, 1946, S. 90.
2 EXPERTsuisse, Fachmitteilung Unternehmensbewertung, UBW, Rn. 61.
3 Siehe Hüttche/Schmid, 2025, S. 412 ff.
4 Vgl. EXPERTsuisse, 2023, Teil II N 179; Hüttche, Art. 960a, N 13 ff.
5 Zum Urteil und seiner Besprechung siehe Hüttche/Schmid, 2023, S. 554 ff.
6 Schmalenbach, E., 1917/18, S. 11.
Literaturhinweise
EXPERTsuisse, Schweizer Handbuch der Wirtschaftsprüfung, Band «Buchführung und Rechnungslegung», Zürich 2023.
EXPERTsuissse, Fachmitteilung Unternehmensbewertung, Stand 30. Mai 2022.
Hüttche, T., Art. 960a OR, in: Pfaff, D. et. al. (Hrsg.): Rechnungslegung nach Obligationenrecht, Praxiskommentar, 3. Aufl., Zürich 2024, S. 539-576.
Hüttche, T./Schmid, F., Update Unternehmensbewertung 2023, in: EXPERT FOCUS, 2023, Heft 10, S. 554-562.
Hüttche, T./Schmid, F., Update Unternehmensbewertung 2025, in: EXPERT FOCUS, 2025, Heft 10, S. 412-421.
Käfer, K., Zur Bewertung der Unternehmung als Ganzes, in: Rechnungsführung in Unternehmung und Staatsverwaltung, Festgabe Otto Juzi, Zürich 1946, S. 71-98.
Schmalenbach, E., Die Werte von Anlagen und Unternehmungen in der Schätzungstechnik, in: ZfhF 1917/18, Heft 1, S. 1-20.