DUALSTARK
Mit dem Titel «Handlungskompetenzorientiertes Prüfen: im Spannungsfeld von Qualität und Ressourcen» knüpfte die ERFA-Tagung von dualstark Ende Oktober inhaltlich an die Vorjahre an. Das Thema stiess bei den Mitgliedern der Konferenz der Berufs- und höheren Fachprüfungen auf reges Interesse.
Text: Marion Tarrach
Das Prüfungswesen in der höheren Berufsbildung durchläuft einen Entwicklungsschub. «Handlungskompetenzorientierung» ist eine klare Zielvorgabe des Bundes, passend zum Bedarf des Arbeitsmarkts. Reine Wissensabfragen verlieren, praxisbezogene Formate gewinnen an Gewicht.
Barbara Vogt, Projektverantwortliche im Zentrum für Berufsentwicklung der Eidgenössischen Hochschule für Berufsbildung, beleuchtete die Zielkonflikte in der Konzeption von ebenso realitätsnahen wie realistischen Prüfungen. Sie ging der Kernfrage nach, «wie man ein valides, zuverlässiges, faires Prüfungssetting entwickeln» kann, ohne die Ressourcen zu überlasten.
Das Durchführen echter Praxisprüfungen ist längst nicht überall möglich und sinnvoll. Es müssen andere Formen gefunden werden, um Kompetenzen sichtbar und bewertbar zu machen. Wenig aufwändige Prüfungen bleiben allerdings auch wenig komplex und lassen den Absolvierenden genauso wenig Freiheit in der Bearbeitung. Handlungskompetenzorientierung will etwas ganz anderes: Die Fähigkeit sichtbar machen, vielschichtige, typische berufliche Situationen einschätzen und bewältigen zu können.
Die Prüfungsarchitektur wird in Prüfungsordnung und Wegleitung einer eidgenössischen Prüfung angelegt, aufbauend auf dem Qualifikationsprofil eines Berufs. Gleich zu Beginn einer Revision seien prüfungsrelevante Aspekte zu durchdenken, führte Barbara Vogt aus. Welche Kompetenzen eignen sich für eine schriftliche und welche für eine mündliche Überprüfung? Aus welchen Prüfungsformen lässt sich auf die Kompetenz im Berufsalltag schliessen und welche Formate bilden die Realität eines Berufs am besten ab? Welche Kompetenzen sollen überhaupt – und welche könnten gemeinsam – geprüft werden?
Dietmar Eglseder (Moderation und Vorstand dualstark), Barbara Vogt (Eidgenössische Hochschule für Berufsbildung), Dominik Perler (santésuisse), Eva Heinimann (b-werk bildung gmbh) (v. l. n. r.)
Steht das Wünschbare der Prüfungsarchitektur fest, braucht es im nächsten Schritt die Einschätzung des Machbaren, so Vogt weiter. «Zwischen Prüfungsqualität und Ressourceneffizienz besteht ein ständiges Spannungsfeld, das bewusst ausbalanciert werden muss», hält sie fest. Der Zielkonflikt lässt sich nur in einem Kompromiss lösen, im Abwägen zwischen Notwendigkeit und Möglichkeit. Personelle, zeitliche und finanzielle Aspekte spielen ebenso in die Entscheidungen hinein wie die Anzahl der Prüfungsteilnehmenden.
Vogt spricht sich für Augenmass im Prüfungswesen aus. Nicht jede Kompetenz sei gleich praxis- und prüfungsrelevant – und auch nicht jede Kernkompetenz müsse in jedem Prüfungsjahr beurteilt werden.
Eine klare Haltung vertritt Barbara Vogt zur Nutzung von künstlicher Intelligenz in der Leistungserbringung durch die Kandidierenden. «KI hat Einzug in den Berufsalltag gehalten, weshalb sie auch in die Prüfungen einbezogen werden müsste», meinte sie. «Ob Kandidierende das Denken an die KI delegiert oder sämtliche Gedankengänge einer Praxis-/Projektarbeit selbst durchgespielt haben, lässt sich in einer Präsentation mit Fachgespräch ermitteln.» Längst seien aber noch nicht alle technischen, gesetzlichen und sicherheitsrelevanten Fragen im Umgang mit KI in der Prüfungswelt geklärt.
Aus der Umsetzung einer Prüfungsrevision berichtete Dominik Perler, Fachspezialist für die höhere Berufsbildung beim Verband santésuisse. Die angehenden Fachpersonen Krankenversicherung wurden 2025 erstmals durch eine mehrteilige Fallarbeit geleitet. Sie hatten die Wahl zwischen vier Fallstudien, um sich für den Handlungskompetenzbereich mit der individuell höchsten Relevanz entscheiden zu können.
Gut ein halbes Jahr Entwicklungszeit stecken hinter dieser Premiere. Zu jeder Fallstudie wurden Lösungsvorschläge entwickelt und in ein Bewertungsraster als Guideline eingefügt. Auf den Bedarf nach «klaren Instrumenten, Kriterien und Indikatoren für alle Prüfungsteile» hatte auch Barbara Vogt aufmerksam gemacht. Diese dienen unter anderem der Qualitätssicherung der Bewertung.
Der Weg zur Fallarbeit sei ein intensiver, aber sehr lohnender Prozess gewesen, schloss Dominik Perler – über den Prüfungstag hinaus. Während sich die Kandidierenden drei Stunden mit ihrem Fall auseinandersetzten, beanspruchte die Bewertung pro Arbeit sogar noch etwas mehr Zeit.
Die Qualität einer Prüfung der höheren Berufsbildung steht und fällt mit der Qualität der Expertinnen und Experten. Auf die Rekrutierung und die Pflege dieser zentralen Ressource ging Eva Heinimann ein, Geschäftsführerin und Projektleiterin der b-werk bildung gmbh.
Wer prüft, ist hochkompetent und verfügt in seinem Fachgebiet in der Regel über deutlich mehr Expertise als im Prüfungswesen. Standardmässig steht jährlich ein Training zur Verfügung, um sich mit der eigenen Rolle, den Prüfungsformen und einem gemeinsamen Prüfungsverständnis auseinanderzusetzen. Fragetechniken werden geübt, Simulationen und Rollenspiele durchgeführt oder Thesen und Statements diskutiert. Doch reicht dies, um diese verantwortungsvolle Funktion professionell ausüben zu können? Und reicht dies, um die Leistung der Prüfungsexpertinnen und -experten zugunsten ihres Berufs angemessen wertzuschätzen? Eva Heinimann sieht darin eine Fragestellung, mit der sich über die Prüfungsträger hinaus auch die Bildungspolitik beschäftigen könnte.
Als Fazit eines interessanten Nachmittags sei nochmals Barbara Vogt zitiert. Sie nennt vier Erfolgsfaktoren, um Qualität und Ressourcen im Prüfungswesen in der Balance zu halten: