INTERVIEW

Im Gespräch mit Stefanie Specker, CEO von EXPERTsuisse

Präzise, nicht perfekt

Stefanie Specker beschreibt sich selbst als keine Perfektionistin, hat aber eine grosse Leidenschaft für Mathematik und Physik. Ihr Weg führte sie von Deutschland in die Schweiz - vom Maschinenbaustudium in Aachen bis hin zur Rolle als CEO von EXPERTsuisse. Im Gespräch gibt sie Einblicke in die Arbeit an der Spitze des Verbands.

Interview: Dieter Pfaff und Bettina Kriegel I Fotos: Patric Spahni

Stefanie Specker, seit dem 1. April 2024 sind Sie CEO von EXPERTsuisse. Welche Herausforderungen haben Sie in Ihrer neuen Rolle am meisten geprägt, und welche Bilanz ziehen Sie nach einem Jahr?

Diese verantwortungsvolle Position habe ich in einer Phase tiefgreifender Transformation übernommen. Es standen strategisch bedeutsame Projekte im Fokus: die umfassende Reform und Modularisierung der Ausbildungen von Wirtschaftsprüfenden und den Steuerexpertinnen und -experten, der Wechsel auf ein modernes ERP-System. Und dieses Jahr lancieren wir einen neuen, sehr mitgliederorientierten Webauftritt. Die Vielfalt und Verknüpfung unserer Aufgaben - von Ausbildung bis zur Interessensvertretung - bleibt für uns als KMU eine anspruchsvolle Herausforderung.

Rückblickend bin ich stolz auf unser starkes Team, das den Wandel mitgestaltet und trägt. Und mit Blick auf die sich ständig ändernden Rahmenbedingungen freue ich mich auf die Dynamik und die spannenden Aufgaben, die vor uns liegen.

Welche Trends sehen Sie in der Wirtschaftsprüfung, die die Branche in den nächsten Jahren prägen werden?

Der Umgang mit Daten in all ihren Facetten wird eine zentrale Herausforderung für die Wirtschaftsprüfung der kommenden Jahre, sei es im Bereich der Rechnungslegung oder bei Nachhaltigkeitsinformationen. Dabei bleibt die kritische Grundhaltung des Prüfers ebenso unverzichtbar wie ein wacher Blick für das Wesentliche. Ein tiefes Verständnis für den Einsatz von KI und technologiebasierten Werkzeugen wird unerlässlich, um relevante von irrelevanten Informationen zu trennen. Die Art und Weise, wie Prüfungen durchgeführt werden, steht vor grundlegenden Veränderungen. Gleichzeitig erfordert die - leider - zunehmende Regulierungsdichte kontinuierliche Aufmerksamkeit und Anpassungsfähigkeit.

Wirtschaftsskandale können das Image der Wirtschaftsprüfungsbranche erheblich beeinträchtigen. Welche Massnahmen plant EXPERTsuisse, um das Vertrauen in die Branche zu stärken und solchen Herausforderungen entgegen-zuwirken?

Wirtschaftsskandale haben zweifellos das Potenzial, das öffentliche Vertrauen in die Wirtschaftsprüfungsbranche zu erschüttern. Der Direktor der Revisionsaufsichtsbehörde RAB traf aber den Punkt, als er erwähnte, dass nicht jeder Unternehmensskandal auch ein Prüfskandal sei. In sehr vielen Fällen sind diese Ereignisse auf kriminelle Energie, Managementfehler oder eine Verkettung unglücklicher Umstände zurückzuführen. Und nur selten auf Versäumnisse der Prüfer. Richtig ist aber, und ich kann das nicht genug betonen, dass unsere Arbeit auf einem der wertvollsten Güter unserer Zeit basiert: Vertrauen. Um dieses zu stärken, setzen wir auf die sichtbare Vermittlung der hohen Qualitätsstandards in der Ausbildung und zeigen der Öffentlichkeit, welche umfassenden Anforderungen heutige und zukünftige Wirtschaftsprüferinnen und -prüfer in den Bereichen Fachkompetenz, Unabhängigkeit und Qualitätsmanagement erfüllen müssen.

Wie beeinflusst die Digitalisierung die Arbeitsweise von EXPERTsuisse und die Ausbildung neuer Wirtschaftsprüfer? Wie unterstützt EXPERTsuisse seine Mitgliedsfirmen im digitalen Veränderungsprozess, insbesondere auch bei Fragen zur künstlichen Intelligenz (KI)?

Selbstverständlich prägt die Digitalisierung auch die Ausbildung und die Arbeitsweise neuer Wirtschaftsprüfenden massgeblich. Ein Drittel der Unterrichtseinheiten ist mittlerweile vollständig digital, sodass diese orts- und zeitunabhängig absolviert werden können. Gleichzeitig geniessen unsere Studierenden in der Ausbildung den Vorteil, das gesamte Studium entweder vor Ort oder online durchlaufen zu können - wie wir feststellen, entspricht das einem grossen Bedürfnis. Die gezielte Kombination von Präsenz- und Online-Unterricht bietet den Studierenden maximale Flexibilität, ohne dabei unseren hohen Qualitätsanspruch zu kompromittieren. Besonders hervorheben möchte ich auch die neuen Basis- und Schwerpunktmodule im Bereich IT-Prüfung und Datenanalyse, die speziell für Wirtschaftsprüfer entwickelt wurden.

Unsere Mitglieder begleiten wir im digitalen Wandel mit den Resultaten der Arbeit unserer Digitalisierungskommission, mit Branchenpartnerschaften und richtungsweisenden Whitepapers, hier insbesondere zur Nutzung von KI. Darüber hinaus entwickeln unsere Fachkommissionen praktische Arbeitshilfen, um den technologischen Fortschritt effektiv nutzbar zu machen. Gerade für KMU sind dies wichtige und unentbehrliche Ressourcen.

Welche Rolle spielt Nachhaltigkeit in der Wirtschaftsprüfung und wie geht EXPERTsuisse damit um?

Nachhaltigkeit nimmt in der Wirtschaftsprüfung eine zunehmend zentrale Rolle ein. Viele SMI-Unternehmen, die zur Erstellung eines Nachhaltigkeitsberichts verpflichtet sind, lassen diesen mittlerweile freiwillig prüfen. Dabei arbeiten sie bevorzugt mit Wirtschaftsprüfern und Revisionsstellen zusammen, da finanzielle und nicht-finanzielle Informationen eng miteinander verknüpft sind. Wir engagieren uns aktiv dafür, dass die Schweizer Gesetzgebung eine Zulassungsgrundlage für Nachhaltigkeitsprüfer schafft - ein Schritt, der sowohl die internationale Anerkennung des Berufsstandes als auch den Mehrwert für unsere Kunden stärkt. Allerdings bleibt hier abzuwarten, wie sich die Situation mit der EU-Omnibus-Richtlinie weiterentwickelt.

Wie plant EXPERTsuisse, die Bindung zu seinen Mitgliedern zu stärken und neue Mitglieder zu gewinnen?

Wir konzentrieren uns konsequent auf unsere Kernaufgaben: die Bildung, Zertifizierung, Vertretung und Unterstützung unserer Experten in Wirtschaftsprüfung, Steuerwesen und Treuhand. Unser Ziel ist es, den Mehrwert einer Mitgliedschaft so klar zu definieren, dass für Fachleute kein Zweifel besteht - EXPERTsuisse ist ihre berufliche Heimat. Unter diesem Leitgedanken entwickeln wir unsere Dienstleistungen stetig weiter, beispielsweise durch die Optimierung der Verfügbarkeit und den Zugang zu unseren Fachinformationen. Als Fackelträger von Vertrauensdienstleistungen setzen wir bedingungslos auf Qualität und damit auf Ergebnisse, die wirklich zählen.

In welchen Bereichen könnte SwissAccounting als Vorbild für EXPERTsuisse dienen? Was macht EXPERTsuisse Ihrer Meinung nach besser?

Was mich an SwissAccounting beeindruckt, ist der Mut, sich in weniger bekannte Themenfelder vorzuwagen. Die hohe Regulierungsdichte und unsere Position als Branchenführer zwingen uns leider, diesbezüglich manchmal etwas konservativer agieren zu müssen. Hier würden wir gerne bei SwissAccounting eine Scheibe Lockerheit abschneiden. Worauf ich bei EXPERTsuisse jedoch besonders stolz bin, ist unser aktives Milizsystem. Viele unserer Mitglieder engagieren sich neben ihrem Beruf leidenschaftlich für unseren Berufsstand und unseren Verband. Dieses Engagement stärkt uns enorm und macht uns widerstandsfähig.

Sie sind diplomierte Maschinenbauingenieurin. Was hat Sie dazu motiviert, eine Karriere in der Wirtschaftsprüfung einzuschlagen?

Ja, ich bin Ingenieurin und keine Wirtschaftsprüferin. Seit ich denken kann, wollte ich immer verstehen, wie etwas funktioniert. Mathematik und Physik - nicht in ihrer Theorie, sondern in ihrer praktischen Anwendung - haben mich fasziniert. Diese Wissenschaften beantworten Fragen faktenbasiert und wertfrei. Unsere Wirtschaftsprüferinnen und -prüfer machen nichts anderes: Sie lesen und verstehen Zahlen. In einem nächsten Leben würde ich vielleicht Steuerexpertin werden, unser zweiter Ausbildungslehrgang auf höchstem Qualifikationsniveau.

Welche Eigenschaften halten Sie für entscheidend, um erfolgreich ein Unternehmen wie EXPERTsuisse zu führen?

Erfolgreiche Führung bei EXPERTsuisse erfordert ein gesundes Mass an Abstraktionsvermögen, um die komplexen Anforderungen von Diversität, Stakeholdern und regulatorischen Rahmenbedingungen zu bewältigen. Wichtige Eigenschaften sind die Fähigkeit, strategische Ziele klar zu definieren und konsequent zu verfolgen, sowie Pragmatismus, Offenheit und Flexibilität. Bodenständigkeit und die Bereitschaft, selbst mitanzupacken, stärken das Team und schaffen Vertrauen. Zudem ist es entscheidend, Verantwortung zu übernehmen und delegieren zu können. Ein starkes Team hinter sich zu wissen und mit Weitblick sowie gesundem Menschenverstand das Gleichgewicht zwischen strategischer Steuerung und operativer Umsetzung zu halten, sind ebenfalls essenziell.

Wie schaffen Sie es, Beruf und Privatleben - Sie sind verheiratet und haben zwei Kinder - in Einklang zu bringen, insbesondere in einer so anspruchsvollen Position?

Der Schlüssel liegt darin, den richtigen Partner an seiner Seite zu haben und gemeinsam die eigenen Ziele, Werte und Prioritäten klar zu definieren. Zentral ist auch die Bereitschaft, Kompromisse einzugehen. In unserem Fall war von Anfang an klar, dass wir beide neben der Familie auch berufliche Verantwortung und spannende Aufgaben übernehmen möchten. Unser Kompromiss bestand darin, eher «lokale» Herausforderungen - ohne viele Auslandsreisen - mit einer gewissen zeitlichen Flexibilität zu wählen.

In meinem Umfeld habe ich festgestellt, dass oft die eigenen Ansprüche und Wertvorstellungen die grossen Stolpersteine bei der Vereinbarkeit sind. Uns hilft es, dass mein Mann und ich keine Perfektionisten sind und gut damit umgehen können, eine Fünf gerade sein zu lassen - sei es eine ungeputzte Wohnung oder andere Details, die nicht immer perfekt sein müssen. Aber wie so oft im Leben braucht es neben einem engen sozialen Netzwerk immer auch eine gute Portion Glück, um Beruf und Privatleben harmonisch in Einklang bringen zu können.

Gab es Personen in Ihrem Leben, die Sie besonders inspiriert oder gefördert haben? Wenn ja, wer waren sie und warum?

Ich hatte das grosse Privileg, mit sehr unterschiedlichen Führungspersönlichkeiten arbeiten zu dürfen, von denen jede auf ihre Weise prägend war. Besonders dankbar bin ich jenen, die mich immer wieder dazu ermutigt haben, meine Komfortzone zu verlassen, mir dabei jedoch stets die nötige Rückendeckung gegeben haben. Diese Kombination aus Forderung und Unterstützung hat mich nachhaltig geformt.

Einer der wichtigsten Ratschläge, die ich auf meinem beruflichen Weg erhalten habe, lautet: Wenn dir eine neue Rolle oder Position angeboten wird, zweifle nicht an den eigenen Fähigkeiten, sondern sag mutig und zuversichtlich «Ja». Die Überlegung dahinter: Würde man mir die Rolle nicht zutrauen, hätte man sie mir erst gar nicht angeboten. Diese Erkenntnis hat mir zahlreiche Türen geöffnet und sowohl meine persönliche als auch berufliche Entwicklung massgeblich beeinflusst.

Welche Hobbys oder Interessen verfolgen Sie ausserhalb Ihrer beruflichen Tätigkeit?

Unsere gesamte Familie ist im Tennisclub aktiv - hier darf ich einmal im Jahr sogar ein wenig Revisionsluft schnuppern. Wir sind begeistert vom Vereinsgedanken und der Geselligkeit, die unseren Sport hier umrahmt. Darüber hinaus zieht es uns, Sommer wie Winter, in die Berge nach Arosa - unsere zweite Heimat. Sobald wir oben sind, fühlt es sich immer an wie ein Stück Ferien.

Gibt es Bücher oder Ressourcen, die Ihnen besonders geholfen haben oder die Sie empfehlen würden?

Ich muss gestehen, dass ich in meiner Freizeit lieber Krimis lese als Sachbücher - sie sind für mich ideal, um abzuschalten und den Kopf freizubekommen. Und mir hilft es immer wieder ungemein, mir meiner eigenen «Bedienungsanleitung» bewusst zu werden. Es kann sehr aufschlussreich sein, sich die Zeit zu nehmen, diese schriftlich festzuhalten. Besonders hilfreich finde ich dabei, die Fragen zu beantworten: Was gibt mir Energie, was raubt mir Energie? Wo liegt mein eigener Wertbeitrag? Das Nachdenken darüber erlaubt mir, meine Prioritäten klarer zu setzen, mich auf das Wesentliche zu konzentrieren und ein Team mit ergänzenden Kompetenzen um mich herum aufzubauen. Gleichzeitig bietet sie Einsicht in die Dynamik zwischenmenschlicher Beziehungen: Sie zeigt auf, wie sich Kommunikationsprobleme konstruktiv lösen lassen und warum man mit einigen Personen möglicherweise auf keinen gemeinsamen Nenner kommt.

In diesem Jahr feiert EXPERTsuisse sein 100-jähriges Bestehen. Wie begehen Sie das Jubiläum?

Wir werden keine Chronik produzieren, die irgendwo verstaubt, sondern vielmehr unser Milizsystem feiern. Zu diesem Anlass haben wir eine eigene Website www.expertsuisse100.ch gestaltet, die eine geschichtliche Einordnung, 100 Fragen und Antworten sowie Informationen zu unseren Events bietet. In allen drei Sprachregionen werden Partys stattfinden, und als Highlight wird am 20. November die Jubiläumstagung im Kongresshaus Zürich ausgerichtet.

Welche Botschaft möchten Sie jungen Fachkräften mit auf den Weg geben, die eine Karriere in der Wirtschaftsprüfung oder im Accounting anstreben?

Der Einstieg in die Wirtschaftsprüfung oder ins Accounting bietet eine ideale Grundlage für das Berufsleben. Man sammelt wertvolle Erfahrungen - nicht nur fachlich, sondern auch durch das Erlernen von vernetztem und konzeptionellem Denken. Man lernt, sich durchzubeissen, mit Rückschlägen umzugehen und füllt sich damit laufend den Rucksack für eine erfolgreiche berufliche Zukunft. Mein Rat an die jungen Fachkräfte: Bleiben Sie neugierig, offen und flexibel. Zeigen Sie Engagement und Einsatzbereitschaft. Denn oft kommt es anders als geplant - und dennoch gut. Behalten Sie Ihren positiven Blick nach vorn und vertrauen Sie auf sich und Ihre Fähigkeiten. Geben Sie alles, es lohnt sich!

Vielen Dank für das Gespräch!