CONTROLLING
Ein Grossteil der späteren Produktions- und Lifecycle-Kosten wird bereits in den frühen Phasen des Produktlebenszyklus (PLC) festgelegt. Deshalb muss das Controlling frühzeitig und durchgängig im gesamten PLC verankert sein. Ein Fokus, der sich ausschliesslich auf die Serienproduktion beschränkt, greift deutlich zu kurz.
In einer Zeit, in der die geforderte hohe Individualisierung der Produkte, immer kürzere Innovationszyklen, erhöhter Kostendruck und volatile Supply Chains zunehmen, wird das Management und Controlling des Product Lifecycle (PLC) zu einer besonders herausfordernden Aufgabe. Insbesondere in den frühen Phasen des PLC ist die Erfolgsquote häufig noch unsicher, was zusätzliche Risiken mit sich bringt. So erfordern die verschiedenen Phasen des PLC unterschiedliche Kontrollmechanismen, um sowohl operative als auch strategische Ziele effektiv zu steuern. In vielen Fällen liegt der Fokus des Controllings auf der Serienphase. Doch die kontinuierliche Überwachung des gesamten Produkt- und Projektportfolios über den gesamten PLC hinweg ist von zentraler Bedeutung. Deshalb beschäftigt sich das Product Lifecycle Costing und Controlling mit dem Produkt von der Innovation bis hin zur Aussteuerung.
Lifecycle Controlling ist der Schlüssel, um alle Phasen des PLC zu verbinden und die beteiligten Funktionen effizient zu steuern. Es schafft Transparenz über die Gesamtkosten und -erlöse des kompletten PLC und bildet damit die Basis, um die Rentabilität, Prozess- und Beurteilungssicherheit mit Fokus auf den gesamten PLC zu gewährleisten.
Langfristige Rentabilität gelingt nur, wenn alle Phasen des PLC aktiv überwacht und gesteuert werden. (Abbildung 1: Einfluss früher Entscheidungen im Produktlebenszyklus auf die Gesamtkosten.)
Abbildung 1: Die in den frühen Phasen des PLC getroffenen Entscheidungen haben einen erheblichen Einfluss auf die späteren Kosten, insbesondere auf die Fertigungskosten des Produkts. Fehlerhafte oder unklare Entscheidungen während der Innovations- oder Entwicklungsphase wirken sich langfristig negativ auf die Rentabilität und Marktposition eines Unternehmens aus. Werden diese Fehler erst in den späteren Phasen erkannt, sind Korrekturen oft nur noch schwer oder gar nicht mehr möglich - das Kind ist dann schon in den Brunnen gefallen.
Abbildung 2: Der PLC muss aus Sicht von Costing und Controlling über alle Phasen hinweg aktiv gesteuert werden - von der Produktidee bis zur Entsorgung. Jede Phase stellt dabei spezifische Anforderungen an die Kostenrechnung, das Controlling und die Steuerung, die in einem integrierten System berücksichtigt werden müssen.
Der PLC lässt sich vereinfacht in vier Phasen gliedern - jede mit eigenen Anforderungen an Controlling und Costing (Abbildung 2: Controlling und Costing orientieren sich am kompletten PLC). Die ganzheitliche Steuerung eines Produkts über seinen gesamten Lebenszyklus hinweg setzt klar definierte Strukturen sowie transparente und fundierte Entscheidungsprozesse voraus. Standardisierte, klar definierte Meilensteine sind zentrale Orientierungspunkte im Produktentstehungsprozess. Sie ermöglichen die systematische Überprüfung von Qualität, Zeit und Budget und dienen häufig als Grundlage für Budgetfreigaben, die an den tatsächlichen Projektfortschritt geknüpft sind.
Die folgende Ausführung orientiert sich an den aufeinanderfolgenden Phasen des PLC - von der Innovation bis zur Aussteuerung am Ende der Nutzung. Aus Controlling-Sicht ist es entscheidend, kostenrelevante Aspekte frühzeitig zu identifizieren, zu bewerten und über alle Phasen hinweg zu steuern und zu überwachen. Nur so können wirtschaftliche Zielgrössen im gesamten PLC-Kontext verantwortungsvoll erreicht werden.
Die Innovations- oder Inputphase bildet den Ausgangspunkt des PLC und legt damit das Fundament für eine marktgerechte Produktentwicklung und -einführung. In dieser frühen Phase werden Produktideen generiert, mit dem Produktportfolio abgeglichen und durch Anforderungen definierte Produktfunktionen in einer Systemarchitektur (Baugruppenarchitektur) spezifiziert. Ziel ist es, Lösungen zu identifizieren, die das bestehende strategische Produktportfolio sinnvoll ergänzen, und gleichzeitig die verfügbaren Technologien, internen Kompetenzen und Ressourcen optimal zu nutzen.
Gerade in dieser Phase werden entscheidende Weichen für den Markterfolg gestellt. Bis zu drei Viertel der gesamten PLC-Kosten und bis zu zwei Drittel der Produktherstellkosten werden bereits in dieser und der anschliessenden Entwicklungsphase festgelegt. Aus diesem Grund ist in dieser Phase u.a. ein Augenmerk auf das frühe Optimieren der gegenläufigen Bedürfnisse von möglichst grosser Produktvarianz sowie der daraus entstehenden internen Komplexität und Anforderungen wie «Design to Cost» zu legen.
Durch frühzeitige Bewertung des Produktportfolios, Marktpotenzialanalysen und Zielabgleichen schafft das Controlling Transparenz und steuert aktiv die Innovationspipeline. «Innovation Accounting» ist ein Steuerungsansatz im PLC-Management, der den Fortschritt und Wert von Innovationen messbar macht - insbesondere in frühen Phasen, in denen klassische KPIs, wie Umsatz noch nicht greifen. Durch lernbasierte Kennzahlen wie Kundenfeedback oder validierte Hypothesen unterstützt es fundierte Entscheidungen entlang des gesamten Produktlebenszyklus.
Im Anforderungsmanagement kommt dem Target Costing eine besondere Bedeutung zu: Zielkosten und Margenvorgaben werden als zentrale Produktanforderungen definiert, auf Produktfunktionen und Subsysteme heruntergebrochen und deren Einhaltung minutiös verfolgt und durchgesetzt.
Die kontinuierliche Überwachung relevanter Einflussgrössen bildet das Fundament für faktenbasierte Entscheidungen und eine verlässliche Steuerung des gesamten Innovationsprozesses. Zu jedem Meilenstein im gesamtem PLC sind Istkosten mit den Zielkosten und -margen abzugleichen.
Abbildung 3: Kontinuierliches PLC-Monitoring ist zu jedem Meilenstein unabdingbar.
In der Produktentwicklungsphase werden sowohl das Produkt selbst als auch die zugehörige Dokumentation erarbeitet und technisch spezifiziert. Diese technische Definition wird schrittweise um alle notwendigen Informationen ergänzt, die für eine reibungslose Beschaffung und Produktion erforderlich sind. Es wird empfohlen, die Produktentwicklungsphase erst nach Erreichen der serienmässigen Herstellbarkeit abzuschliessen (Stichwort: Verantwortungszuweisung und -trennung).
Während der technischen Produktentwicklung sind Iterationen üblich, da getroffene Entscheidungen oftmals hinterfragt und überdacht werden müssen. Aus diesem Grund erfolgt die Freigabe von Entwicklungsschritten in der Regel in Sprints - jeweils nach Erreichen eines definierten Meilensteins und einer fundierten Bewertung von monetären und nicht-monetären Parametern der nächsten Entwicklungsphase. Hierbei behält das Controlling den Fokus auf das Erreichen der Meilensteine, das Abschätzen der nächsten Entwicklungsphase und das Einhalten der gesamten PLC-Kosten.
Zur Steuerung der technischen Entwicklung sind Produktleistung, Qualität, Zeit, Kosten und Risiko entscheidend. Kundenzufriedenheit, Time-to-Market und Kosten müssen laufend bewertet werden. Prognosen und Analysen ermöglichen eine frühzeitige Erkennung von Abweichungen und eine gezielte Steuerung der Entwicklungs-Sprints.
Nach Abschluss der technischen Produktentwicklung rückt die Realisierung der Herstellbarkeit in den Fokus. Ziel ist es, das Produkt so weiterzuentwickeln, dass es unter realen Serienbedingungen wirtschaftlich, qualitativ und reproduzierbar gefertigt werden kann. Parallel dazu sind strategische Entscheidungen wie Make-or-Buy-Analysen, die Festlegung des Production Footprints sowie die Berücksichtigung von Lieferantenredundanzen zentral. Die Spezifikation des Produktes, der Beschaffung und Produktion müssen so aufgebaut sein, dass sich der Make-or-Buy Entscheid und der Production Footprint möglichst effizient und flexibel anpassen lassen (z.B. an eine Änderung der geopolitischen Lage). Diese Faktoren beeinflussen massgeblich die Stabilität der Lieferkette, die Produktionskosten, die Produktqualität und die langfristige Lieferfähigkeit.
Die Serienproduktionsentwicklung stellt sicher, dass das Produkt unter realen Produktionsbedingungen zuverlässig gefertigt werden kann. Erst dann erfolgt die abschliessende Validierung, um sowohl technische als auch wirtschaftliche Anforderungen zu bestätigen und die Grundlage für einen erfolgreichen Serienstart zu schaffen.
Während der Entwicklungsphase bildet eine umfassende, dynamische Projektkalkulation das Herzstück des Projektcontrollings. Sie basiert auf modernen Investitionsrechenverfahren und schafft eine belastbare Entscheidungsgrundlage über alle Projektphasen hinweg. Die Durchführung erfordert eine enge, cross-funktionale Zusammenarbeit aller beteiligten Bereiche. Hierbei müssen die Produktlebenszykluskosten kontinuierlich revalidiert und rekalkuliert werden und an neue Markterkenntnisse angepasst werden.
Ein effektives Entwicklungscontrolling erfordert monatliche Soll-Ist-Analysen und eine laufende Steuerung des Entwicklungskostenbudgets. Die betriebswirtschaftlich sinnvolle Umlage der Entwicklungskosten auf das Produkt ist unternehmensspezifisch, abhängig von Produkttyp, Absatzmenge, Lebensdauer und strategischer Ausrichtung, zu regeln.
Sobald die Produktentwicklungsphase mit der Erreichung der serienmässigen Herstellbarkeit abgeschlossen ist, geht das Produkt in die Produktionsphase über. In dieser entscheidenden Phase liegt der Fokus darauf, das Produkt gemäss der festgelegten Manufacturing Footprint Strategie möglichst effizient zu produzieren. Die Produktionsphase umfasst die Beschaffung, Fertigung, Logistik und Inbetriebnahme. Ihr Ziel ist es, das Produkt termingerecht bereitzustellen, alle betriebswirtschaftlichen und sicherheitstechnischen Anforderungen für einen sicheren Einsatz zu erfüllen und dabei Kosten in allen Bereichen zu optimieren.
Die Effizienz in dieser Phase ist von zentraler Bedeutung, um das Produkt nicht nur erfolgreich auf den Markt zu bringen, sondern auch, um es langfristig wettbewerbsfähig und profitabel zu halten. Nur durch kontinuierliche Optimierung von Prozessen und Kosten kann sichergestellt werden, dass das Produkt über den gesamten PLC hinweg wirtschaftlich bleibt und den Anforderungen des Marktes gerecht wird.
Trotz begrenzter Optimierungsmöglichkeiten in dieser Phase bleibt es entscheidend, sämtliche Kosten sowohl im Jahresverlauf gegenüber Budget als auch gegenüber Gesamtprojektziel (Produktzielmarge) zu steuern, um frühzeitig Abweichungen zu erkennen. Das Vertriebscontrolling fokussiert sich auf die präzise Steuerung der Umsätze und Preisbildung, während das Produktionscontrolling die Produktionskosten überwacht. Beide tragen zur kontinuierlichen Optimierung der wirtschaftlichen Ergebnisse bei, wobei das Pricing im Vertriebscontrolling einen entscheidenden Hebel darstellt.
Das Ziel der cross-funktionalen Zusammenarbeit mit Finance als Bindeglied ist es, die Produktrentabilität nachhaltig zu steigern und die wirtschaftliche Effizienz im gesamten PLC zu maximieren, d.h. die Zielmarge zu erreichen oder idealerweise zu übertreffen (siehe Abbildung 2).
Die Nutzungsphase beginnt mit der Auslieferung des Produkts und umfasst alle Aktivitäten über dessen Lebensdauer hinweg - von Wartung, Überarbeitung, Ergänzung durch allfällige digitale Serviceprodukte bis hin zur Entsorgung oder Weiterverwertung. Sie muss integraler Bestandteil eines vorausschauenden Erlös- und Kostenmonitorings sein, um die langfristige Rentabilität des Produkts sicherzustellen.
Entscheidend für einen nachhaltigen und wirtschaftlichen Betrieb ist, dass zentrale Voraussetzungen wie Serviceeffizienz, Ersatzteillogistik und digitale Diagnosesysteme bereits in der Entwicklungsphase definiert werden (Integrated Logistics Support Engineering), um die Betriebskosten langfristig zu senken. Zudem ist eine klare Abgrenzung von Garantiefällen notwendig, um Mehrkosten zu vermeiden.
In einer zunehmend dynamischen, technologiegetriebenen Welt mit immer kürzeren Innovationszyklen, steigendem Margendruck und wachsenden Kundenanforderungen genügt es nicht mehr, Produkte nur während ihrer Serienproduktion betriebswirtschaftlich zu begleiten.
Die Herausforderungen moderner Produktlandschaften - von komplexen Portfolios über fragmentierte Verantwortlichkeiten bis hin zu fehlender Phasentransparenz - zeigen klar: Das Controlling muss den gesamten Produktlebenszyklus im Blick haben.
Wirksames PLC-Controlling beginnt mit der Innovationsidee und begleitet das Produkt bis zur Entsorgung. Es erfordert ein tiefes Verständnis phasenübergreifender Zusammenhänge, klare Verantwortlichkeiten und eine Steuerungslogik, die finanzielle und nicht-finanzielle KPIs über alle Phasen hinweg mess- und steuerbar macht. Berichtsempfänger müssen ihren Verantwortungsbereich und die Relevanz der Kennzahlen kennen sowie die verfügbaren Steuerungshebel verstehen - so wird Reporting handlungsleitend statt rein informativ. Konkret bedeutet das: Einführung einheitlicher KPIs je Phase, standardisierte Meilensteine mit klaren Zielen, faktenbasierte, stakeholdergerechte Reports und die enge Verzahnung aller Fachbereiche - von Entwicklung über Produktion bis After Sales.
Dabei wird das Controlling zum aktiven Finance Business Partner, der nicht nur retrospektiv Kosten auswertet, sondern vorausschauend Entscheidungen, z.B. durch Szenarioanalysen, frühzeitige Abweichungserkennung, präzise Wirtschaftlichkeitsrechnungen und ein frühzeitiges Erkennen von Zielabweichungen auf Basis klar definierter Zielgrössen für jede Phase, mitgestaltet.
Der Wandel vom funktionsorientierten Silodenken hin zu einer ganzheitlichen Lifecycle-Steuerung ist nicht nur ein organisatorischer, sondern ein strategischer Paradigmenwechsel. Richtig umgesetzt, schafft es die Grundlage für ein sich selbst steuerndes System, integrierte Entscheidungen, effizientere Ressourcennutzung, schnellere Reaktionsfähigkeit auf Marktveränderungen und damit für nachhaltige Profitabilität und Wettbewerbsfähigkeit.