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Aktuelle und interessante Gerichtsurteile

Geschrieben von SwissAccounting | Jun 19, 2025 10:00:00 PM

RECHT

Aktuelle und interessante Gerichtsurteile

Arbeitsrecht

Bewilligungsfreie Sonntagsarbeit in Betrieben für Reisende: Bahnhof muss gewisse Grösse aufweisen

Das Bundesgericht hat am 27. Februar 2025 entschieden, dass Läden an Bahnhöfen Sonntagsarbeit nur dann ohne Bewilligung einsetzen dürfen, wenn der Bahnhof eine gewisse verkehrsmässige Bedeutung erreicht. Die Filiale eines Grossverteilers im Freiburger Bahnhof Châtel-Saint-Denis erfüllt dieses Kriterium nicht, weil der Standort überwiegend von örtlichen Pendlern genutzt wird und sonntags nur schwach frequentiert ist. Eine von den Freiburgischen Verkehrsbetrieben erteilte Bewilligung als "Nebenbetrieb des Bahnhofs" verleiht dabei kein automatisches Recht auf bewilligungsfreie Sonntagsöffnungen. Das Arbeitsinspektorat und später das Freiburger Kantonsgericht hatten die Sonntagsarbeit untersagt; das Bundesgericht bestätigt nun diese Entscheide. Es legt Art. 26 Abs. 4 der Verordnung 2 zum Arbeitsgesetz so aus, dass die Ausnahme für "Betriebe für Reisende" nur auf Bahnhöfe mit ausreichend grossem Reiseverkehr zielt. Damit bleibt Sonntagsarbeit in kleinen Bahnhofsfilialen weiterhin bewilligungspflichtig.

(BGer-Urteil 2C_87/2024)

Arbeitsrecht

Personalverleih an Uber: Genfer Urteil bestätigt

Das Bundesgericht hat am 5. Februar 2025 bestätigt, dass ein Genfer Essenslieferdienst, dessen rund 400 Velokuriere Bestellungen ausschliesslich über die App UberEats abwickeln, gegenüber Uber einen bewilligungspflichtigen Personalverleih betreibt. Die Richter stellten fest, dass die wesentliche Weisungsbefugnis - etwa welche Aufträge anzunehmen sind, wann und wo die Kuriere fahren und wie ihre Arbeit in Echtzeit überwacht wird - bei Uber und nicht beim Lieferdienst liegt. Damit erfüllen die Arbeitsabläufe die gesetzlichen Merkmale des Personalverleihs nach dem Arbeitsvermittlungs- und Personalverleihgesetz. Solange das Unternehmen keine entsprechende Bewilligung besitzt, bleibt ihm die Tätigkeit untersagt. Das Urteil bestätigt die Entscheide der Genfer Aufsichtsbehörden von 2022 und des Kantonsgerichts von 2023.

(BGer-Urteil 2C_46/2024)

Steuerrecht

Russisches Ersuchen um internationale Amtshilfe in Steuersachen abgewiesen

Das Bundesgericht hat mit Urteil vom 30. Januar 2025 ein russisches Amtshilfeersuchen abgelehnt, mit dem Moskau Auskünfte über Schweizer Bankkonten eines russischen Unternehmens begehrte. Die Eidgenössische Steuerverwaltung hatte die Auskunft 2019 bewilligt und das Bundesverwaltungsgericht dies 2022 bestätigt, doch das höchste Gericht hob die Entscheide nun auf. Es stützte sich auf das Doppelbesteuerungsabkommen Schweiz-Russland, das eine Verweigerung erlaubt, wenn die Informationsübermittlung den ordre public verletzt oder fundamentale rechtsstaatliche Garantien gefährdet. Nach Auffassung der Richter besteht angesichts des russischen Angriffs auf die Ukraine, des Austritts Russlands aus dem Europarat und Europäischer Menschenrechtskonvention (EMRK) sowie möglicher Missbräuche der Antiterrorgesetzgebung eine reale Gefahr gravierender Menschenrechtsverletzungen. Zusätzlich betrifft das Ersuchen teilweise wirtschaftlich Berechtigte mit ukrainischer Staatsangehörigkeit, was den Schutzbedarf erhöht. Die Schweiz verweigert daher die Amtshilfe, betont aber, dass Russland bei veränderter Lage ein neues Gesuch stellen kann, das dann erneut geprüft würde. (BGer-Urteil 2C_219/2022)

Öffentliches Recht

Corona-Leaks: Quellenschutz steht Datenzugriff entgegen

Die Bundesanwaltschaft (BA) erhält keinen Zugriff auf Daten, die sie im Rahmen ihrer Strafuntersuchung wegen Amtsgeheimnisverletzung im Zusammenhang mit Covid19-Geschäften des Bundesrates beim damaligen Kommunikationschef des Eidgenössischen Departements des Inneren (EDI) und beim CEO der Ringier AG sichergestellt hat. Der journalistische Quellenschutz steht einer Entsiegelung entgegen. Das Bundesgericht bestätigt nun, dass der journalistische Quellenschutz gemäss Art. 172 StPO Vorrang hat und Beschlagnahmen von Unterlagen aus dem Verkehr mit Medienschaffenden grundsätzlich verbietet. Diese Schutzwirkung gilt unabhängig davon, ob sich die Dokumente bei der Redaktion oder - wie hier - beim Informanten befinden. Ein Durchbrechen des Quellenschutzes kommt nur bei schweren Straftaten oder zur Abwehr unmittelbarer Lebensgefahr in Betracht; die einfache Amtsgeheimnisverletzung fällt nicht darunter.

(BGer-Urteil 7B_733/2024 vom 31. Januar 2025)

Öffentliches Recht

Betrieb ist nicht verfassungskonform

Das Bundesgericht hat am 17. Januar 2025 entschieden, dass die von der Stiftung Schule St. Katharina geführte Mädchensekundarschule Kathi in Wil (SG) in ihrer heutigen Form verfassungswidrig ist. Zum einen verletze sie das Gebot konfessioneller Neutralität öffentlicher Schulen: Wallfahrten, Gottesdienste oder Meditationseinheiten prägten den Schulalltag so stark, dass faktisch ein katholischer Pflichtcharakter entstehe. Zum anderen verstosse der ausschliessliche Zugang für Mädchen gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Gleichbehandlung und die in der Schweiz geltende Koedukationspflicht; Monoedukation sei nur in begrenzten Ausnahmefällen zulässig. Das Gericht hob damit das Urteil des St. Galler Verwaltungsgerichts auf und gab der Beschwerde zweier Privatpersonen sowie einer politischen Partei statt. Damit muss der Schulvertrag von 2016 überarbeitet oder der Schulbetrieb grundlegend angepasst werden, um Neutralität und Gleichbehandlung sicherzustellen.

(BGer-Urteil 2C_405/2022)

Öffentliches Recht

Entzug der Privatklägerschaft - Beschwerde von Hermitage Capital Management Ltd abgewiesen

Das Bundesgericht hat am 21. Januar 2025 endgültig bestätigt, dass die Investmentgesellschaft Hermitage Capital Management Ltd ihre Stellung als Privatklägerin in einem 2011 eröffneten, inzwischen eingestellten Geldwäschereiverfahren verliert. Privatklägerschaft setzt gemäss Art. 118 StPO voraus, dass die beschwerdeführende Partei durch die angezeigte Straftat unmittelbar in eigenen Rechten verletzt wurde; eine bloss mittelbare Betroffenheit reicht nicht. Das Bundesstrafgericht hatte bereits 2022 befunden, Hermitage habe weder plausibel dargelegt, dass die angeblich in der Schweiz gewaschenen Gelder direkt aus Straftaten zu ihren Lasten stammten, noch dass ihr selbst ein konkreter Schaden entstanden sei. Das Bundesgericht schliesst sich dieser Sicht an: Zwar könne der genaue Ablauf der russischen Vortaten offenbleiben, doch fehle jeder Nachweis eines spezifischen Kausalzusammenhangs zwischen diesen Delikten, den mutmasslich gewaschenen Vermögenswerten und Hermitages eigenen Vermögensinteressen. Da der Geldwäschereitatbestand nur den Schutz des unmittelbar Geschädigten gewährt, durfte die Vorinstanz der Gesellschaft die Parteirechte entziehen, ohne Bundesrecht zu verletzen. Folglich bleiben die von der Bundesanwaltschaft 2021 freigegebenen Gelder ungesperrt, und Hermitage kann das Verfahren in der Schweiz nicht weiter als Geschädigte beeinflussen.

(BGer-Urteil 7B_60/2022)

Finanzmarkt- und Bankenaufsichtsrecht

Bundesgericht bestätigt FINMA Auflage: PostFinance muss Eigenmittel für Zinsrisiken erhöhen

Das Bundesgericht hat am 20. November 2024 entschieden, dass PostFinance der FINMA Anordnung von 2021 Folge leisten muss, zusätzliches Eigenkapital als Puffer gegen Zinsänderungsrisiken vorzuhalten. Als systemrelevante Bank unterliegt PostFinance nach dem Bankengesetz erhöhten Anforderungen; ihre Bilanz ist besonders sensibel gegenüber Zinsschwankungen, weil viele Kundeneinlagen keine feste Laufzeit haben. Die FINMA durfte deshalb eigene Annahmen zur Zinsbindungsdauer dieser Einlagen zugrunde legen und musste nicht die - für PostFinance günstigeren - Schätzungen der Bank übernehmen. Solche Bindungsdauern lassen sich empirisch ohnehin nur approximieren; das Gericht befand, die Aufsicht habe alle relevanten Risiken sorgfältig geprüft. Das Bundesverwaltungsgericht war bereits 2023 zum gleichen Schluss gekommen; die nun abgewiesene Beschwerde bestätigt diesen Entscheid endgültig.

(BGer-Urteil 2C_283/2023)

(Bild: www.finma.ch)

Sämtliche Urteile des Bundesgerichts sind publiziert auf www.bger.ch.